Die Sonne brannte heiß auf seinen Nacken. Die Schweißperlen rannen an beiden Seiten seines Gesichts herab, bahnten sich ihren Weg durch die dunklen Bartstoppeln und tropften von seinem Kinn herab. Es war kurz vor Mittag und die Meute stand auf der Hauptstraße und warteten auf den Beginn des Spektakels. Er sah Kinder auf den Armen ihrer Mütter, alte Leute mit müden Augen, Geschäftsleute in feinen Jacketts, die eifrig auf ihre Taschenuhren sahen und Männer, denen das Feuer der Vorfreude in den Augen loderte. Alle hatten sie eine Sache gemeinsam: Ihre Blicke ruhten auf ihm und den anderen beiden Männern neben ihm.
Das Holz unter seinen Füßen war hell und gab leicht unter seinen Füßen nach, wenn er sich nach vorne und nach hinten lehnte. Das ganze Gebilde war noch relativ neu und vermutlich eigens für den heutigen Tag angefertigt worden. Stabile Konstruktion, wunderbare Handwerkskunst dachte er bei sich als er den Blick über das Podest schweifen ließ. Neben ihm hörte er ein leises Flüstern, ein Gebet, welches sich immer wiederholte. Er selbst war ganz ruhig, fast schon in Trance.
Noch 8 Minuten bis Mittag.
Colin O’Sullivan war der Sohn von James O’Sullivan, einem Händler aus Silver Creek und seiner Frau Francis. O’Sullivan and Son handelte mit Tresoren, Schlössern und allerlei Ware, die dafür hergestellt wurde, Dinge davor zu bewahren, geöffnet zu werden. Früh lehrte ihn sein Vater die Mechaniken und Prinzipien der Schließmechnanismen. Er kannte sich aus mit den verschiedenen Arten von Schließzylindern und Drehmechaniken und auch, wie man sie auch ohne Schlüssel oder der Kombination öffnen konnte. Hierbei waren Geduld, zwei ruhige und geschickte Hände und ein sensibles Gehör gefragt. Sein Vater brachte ihm all diese Fertigkeiten über viele Jahre hinweg bei. Es gab kein Schloss, das Colin nicht öffnen konnte. Das Geschäft lief gut, der Goldrausch veranlasste viele Leute dazu, ihre wertvollen Funde vor fremden Fingern zu schützen. Wer nicht selber nach dem Edelmetall grub, der mochte vielleicht seine Anteilspapiere oder Vertragsunterlagen wegschließen, aber es kam auch Nachbar wollte einfach seine Familienerbstücke in Sicherheit wissen.
Noch 6 Minuten bis Mittag.
Schritte kamen langsam die kleine, hölzerne Treppe nach oben. Mit jedem der Schritte schien der Boden unter ihm zu beben, das metallene Klirren der Sporen erklang im Rhythmus dazu. Er atmete ganz ruhig ein und aus. Ein Luftzug wirbelte Staub von der Straße auf, der sich wie ein Tuch auf sein Gesicht legte. Er blickte zur Seite und sah den Sheriff am Ende der Holzplanken. Unter dem gezwirbelten Schnauzer bildete sein Mund eine dünne, gerade Linie. Seine Augen verbargen sich tief in den Höhlen und einen kurzen Moment lang trafen sich ihre Blicke und er zuckte kurz unmerklich zusammen.
Im Sommer 1849 war Colin unterwegs nach Kalifornien um sich dort mit einem ansässigen Goldgräber zu treffen. Sein Geschäftspartner hatte mehrere Claims in der Sierra Nevada und das Geschäft versprach, lukrativ zu werden. Sein Vater hatte ihn schon oft alleine losgeschickt um Aufträge abzuwickeln, doch noch nie war er so weit verreist. Er saß zusammen mit zwei weiteren Geschäftsmännern in einer Kutsche und waren auf dem Weg Richtung San Francisco als der Wagen plötzlich zum Stillstand kam. Von draußen war Hufgetrappel und Schüsse zu hören und mehrere Männer riefen wild durcheinander. Den beiden Männer, die mit ihm in der Kutsche saßen, wurden totenbleich und sahen nervös hin und her. Colin stieg ebenfalls die Panik zu Kopfe. Verdammt, ein Überfall dachte er sich und in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Ein dünner, hochgewachsener Mann in dreckiger Kleidung stand mit erhobenem Revolver da und grinste mit ihnen mit seinen verbliebenen vier Zähnen entgegen. „Aussteigen, Taschen leer machen und dann die Pfoten hoch“ schallte es ihm entgegen. Sie taten wie Ihnen geheißen und stiegen aus der Kutsche. Der Kutscher lag mit dem Kopf nach unten im Wüstensand und Blut rann aus einem Loch im Hinterkopf über seine Haare und färbte die Erde rot. Colin fühlte das Adrenalin durch seinen Körper strömen, er atmete schnell und sein Herz pochte, als ob es jeden Moment zerreißen würde. Doch irgendetwas dabei fühlte sich merkwürdig an.
Zwei der Männer standen auf der anderen Seite der Kutsche und hielten Ausschau und die zwei Verbliebenen waren auf das Dach geklettert und durchsuchten das Gepäck. Koffer flogen durch die Luft und einer der beiden rief: „Hier is ’n Safe, Boss“. Zu zweit hoben sie das kleine, eiserne Gepäckstück an und warfen es nach unten. „Sehr schön“ sagte der Mann mit dem Revolver „und wem gehört das gute Stück?“. „M-m-mir“ stammelte der kleinere der beiden Geschäftsmänner. „Aufmachen!“ bellte der Boss. Der Tresor war mit einem Zahlenschoss gesichert und hatte kein Schlüsselloch. Sein Besitzer kniete sich auf den Boden und er fing damit an, am Schloss zu drehen. Seine Hände zitterten so heftig, dass er es auch beim dritten Anlauf nicht schaffte, die Zahlen in die richtige Position zu bringen und der Safe blieb verschlossen. „Scheiss drauf, wir sprengen das verdammte Teil einfach auf“ rief der Boss, hob den Revolver setze den Lauf die Stirn des Mannes, spannte den Hahn und drückte ab. Der Schuss hallte laut durch das Tal und er sackte nach hinten zusammen und blieb merkwürdig verdreht liegen. Die Augen waren weit aufgerissen und der Blick leer. Colin sah einige Momente lang in das ausdruckslose Gesicht und die Welt schien für einen Augenblick stillzustehen. Doch jäh wurde Colin zurück in die Realität geholt, als ein zweiter Schuss ertönte. Sein zweiter Reisegefährt hatte versucht, den Moment zu nutzen und hatte die Beine in die Hand genommen. Weit war er nicht gekommen, da aus drei der fünf Revolver mehrere Kugeln gleichzeitig auf ihn zuflogen und ihn ebenfalls zu Boden streckten. Der Sohn des Kaufmanns war nun allein mit fünf Outlaws, ihren Pferden und fünf Revolvern in denn noch genug Kugeln für ihn übrig waren. „Letzte Worte, Kumpel?“ fragte der Vierzähnige und hielt ihm die Pistole vors Gesicht.
Das eigenartige Gefühl war wieder da. Er wollte Angst haben, doch irgendetwas anderes hatte sie verjagt. Er war wie im Rausch und die Worte kamen wie von selbst aus seinem Mund: „Mit Dynamit bekommt ihr den nicht geöffnet.“ Er wartete auf den Schuss, die Sekunden vergingen aber nichts geschah. Der Mann ihm gegenüber hatte sein Grinsen verloren und schaute ihn verdutzt an. „Was hast du gesagt? Ich glaube du hast nicht verstanden, dass ich dir gleich eine verdammte Kugel in deinen scheiss Schädel jage und du kommst mir hier mit Belehrungen?“. Er lachte laut und blickte zu seinen Mitreitern. Sein fauliger Atem stieg Colin in die Nase – eine Mischung aus Whiskey, Sand und Tod. Die vier anderen stimmten in das Lachen mit ein. Die Mündung des Revolvers blickte immer noch direkt in sein Gesicht und nach ein paar Lachern mehr blickte ihn die kalten Augen wütend an. „Letzter Versuch. Und machs kurz!“ murmelte er Colin zu. „Bitte. Das ist ein Travis-Safe. Das ist der sicherste Safe der Welt. Acht Zentimeter gehärteter Stahl und einer patentierten Schließvorrichtung, der keine Sprengladung der Welt etwas anhaben kann. Glaubt mir, da reicht kein Sprengstoff der Welt, um diesen Tresor zu öffnen.“. Der Revolver glitt langsam nach unten und der Mann blickte ihn durchdringend an. „Woher zum Henker willst du das wissen? Hast du das scheiss Teil gebaut?“ „Nein“, entgegnete Colin, „aber ich habe schon viele dieser Tresore verkauft. Die einzigen Möglichkeiten, dieses Ding zu öffnen sind die richtige Kombination, eine ruhige Hand oder ein verdammt gutes Gehör“. Wieder lachte der Boss: „Da dir dieser Tresor nicht gehört, gehe ich nicht davon aus, dass du die Kombination kennst. Du glaubst wirklich, DU kannst ihn öffnen?“ „Ich denke schon.“ gab Colin zurück, „Es wird zwar schwierig, weil es hier draußen zu laut ist und ich kein Stethoskop dabeihabe, aber es ist denke ich machbar“. Colin versuchte Zeit zu schinden, auch wenn er nicht wusste, wofür. Sobald der Tresor offen war, würde ihn vermutlich das gleiche Schicksal ereilen wie seine Reisegefährten.
Der Boss starrte ihn ungläubig an und sah aus, aus würde sein Gehirn auf Hochtouren arbeiten. Es schienen Stunden vergangen zu sein, bis er sagte: „Nun gut, dann versuchs mal. Aber ich würde mich beeilen, ich bin nicht grade geduldig.“ Seine vier Zähne blickten ihn dabei verhöhnend an. Was mach ich hier eigentlich? Was hab ich davon, den Tresor zu öffnen, am Ende bin ich sowieso tot. Er begann damit, das Zahlenschloss langsam zu drehen. Dabei legte er zwei Finger der anderen Hand auf eine ganz bestimmte Stelle der Tür. Erst habe links herum, bis er ein kleines, mechanisches Klicken spüren konnte. Für einen Laien wäre dies kaum zu spüren gewesen, doch Colin fühlte es ganz genau. Dann rechts herum und verschob die beiden Finger ein wenig. Er fühlte die Anspannung in seinem Körper. Immer wieder drehen und fühlen. Klick – Klick – Klick. Er sah im Augenwinkel, wie die Männer um ihn herumschritten und nervös mit den Fingern über die Spannhähne der Revolver strichen, jederzeit bereits zu ziehen und abzudrücken. Die Sonne stach unermüdlich in sein Genick. Klick – Klick. Auf einmal ging der Tresor auf und einige Dollarnoten und Goldnuggets fielen heraus. Der Anführer stieß in zur Seite und begutachtete den restlichen Inhalt. „Na ja, hat sich nicht sonderlich gelohnt“, brummte er, „aber drauf geschissen. Besser als nichts. Und jetzt zu dir!“ Er wandte sich um und blickte auf Colin herab, der noch immer am Boden kniete. „Ich muss dir danken, dass du uns einige Stangen Dynamit gespart hast, aber hier endet unsere gemeinsame Zeit“ Er hatte es gewusst. „Ist nichts persönliches.“
Der Hahn spannte sich. Der Boss stand breitbeinig über ihm, sein Körper verdeckte die Sonne und spendete wohltuenden Schatten. So endet es also. Irgendwo in der Wüste im Nirgendwo. Aber was, wenn… Im Bruchteil einer Sekunde zog sein ganzes Leben an ihm vorbei. Er sah seine Mutter, seinen Vater und wie er ihm sein erstes Schloss hingelegt hatte um es ohne Schlüssel zu öffnen. Wie er erwachsen wurde und in das Geschäft übernehmen sollte. Verträge, Handelspartner, Tresore, Schlüssel – in diesem Moment waren diese Dinge bedeutungslos. Was wäre wenn… Was habe ich zu verlieren? „Nehmt mich mit“, entfuhr es leise seinen Lippen, es war nur ein Hauchen. „Was?“ fragte der Große. „Nehmt mich mit!“ wiederholte er, nun lauter, so dass er sicher war, dass sein Gegenüber ihn verstanden hatte. Er blickte in überraschte Augen und einen weit geöffneten Mund. Selbst die Zähne sahen irgendwie fragend aus. An diesem Tag ertönte kein Schuss mehr in diesem Landstrich der Sierra Nevada.
Noch 5 Minuten bis Mittag.
Die Anspannung auf der Hauptstraße wurde mit jedem Moment größer und der Sheriff schritt an ihm vorbei zum ersten Mann in der Reihe auf dem Podest. Er legte ihm den Strick um den Hals und verlas die Verbrechen, derer er schuldig gesprochen wurde. Mit den Worten „… und somit zum Tode durch Hängen verurteilt.“ endete die Schrift. Der Mann hatte sich zwischenzeitlich eingenässt und seine Hose färbte sich dunkel. Am Boden entstand ein Rinnsal, das durch die Bohlen auf die Hauptstraße tropfte. Am Fuße der Treppe hatte inzwischen der Totengräber drei Särge aus Holz vom Karren geladen, die auf Ihre ersten und letzten Eigentümer warteten.
Nach einem scheinbar endlosen Ritt erreichten Sie das Lager. Sie hatten ihm die Hände zusammengebunden, einen Sack über den Kopf gezogen und auf das Pferd der Kutsche gesetzt und neben sich hergeführt. Colin war schwindlig vom blinden Ritt und er hatte Durst. Die Sonne hatte sich inzwischen gesenkt und der Abend brach an. Eine wohltuende Kühle breitete sich über das Land und er spürte den Sonnenbrand in seinem Genick und die Schwielen an den gefesselten Handgelenken. „Endstation“ grunzte einer der Reiter und zog ihm vom Pferd. Er landete unsanft auf dem Boden und ihm wurde der Sack vom Kopf gezogen. Trotz der aufkommenden Dunkelheit der Nacht blendete das Licht in seinen Augen und er kniff sie fest zusammen. „Bindet ihn hinten in der Hütte an den Balken und gebt ihm ’nen Schluck Wasser. Der soll uns ja nicht sofort abkratzen“ rief der Boss einem seiner Kompagnons zu. Dieser zog Colin auf die Füße und schubste ihn in Richtung einer Hütte. Insgesamt gab es hier vier kleine Hütten aus Holz. Es war vermutlich früher einmal eine Behausung von Goldsucher gewesen, die hier ihr Glück versucht hatten. Doch das Lager wurde schon lange aufgegeben. Die Bande hatte sich diesen Ort unter den Nagel gerissen und verbrachte hier die Zeit zwischen ihren Raubzügen. „Machs dir nicht zu gemütlich, du bleibst nicht lange“ gackerte der kleine Mann, der ihn an den Balken band. Er hatte eine Tasse mit Wasser, oder als was man diese Brühe bezeichnen konnte, auf den Tisch gestellt. „Der Boss hat gesagt, du sollst was trinken, also runter damit“ und er reichte ihm das braune Zeug. Es schmeckte widerwärtig und vermutlich würde er davon irgendeine Krankheit bekommen, aber es war besser als nichts. Colin zwang sich zu schlucken und versuchte es anschließend drin zu behalten. Der Mann gluckste und ging ohne ein weiteres Wort nach draußen.
Colin saß auf dem staubigen Boden der Hütte. Von draußen drangen die Stimmen der Männer herein, die um ein Feuer saßen. Der Geruch von verbranntem Holz und leicht verbranntem Fleisch stieg ihm in die Nase. Er hatte nur wenig Spielraum mit seinen Händen, darum versuchte er erst gar nicht die Fesseln irgendwie zu lösen. Sollte ich die Fesseln lösen können, was wäre dann? Einfach rauslaufen und durch die Wüste fliehen? Da kann ich genau so gut hierbleiben und darauf warten, dass die mich umbringen. Aus Sekunden wurden Minuten, aus Minuten Stunden. Irgendwann verklangen die Gespräche draußen und es wurde stille Nacht. Immer wieder hörte er Schritte. Vermutlich der Wachposten, der aufpasst, während die anderen schlafen dachte Colin im Stillen. Er hatte Hunger und auch Durst, doch niemand kam und brachte etwas. Irgendwann schlief er ein.
„Aufwachen, Tresorjunge! Der Boss will dich sehen.“ schallte es ihm entgegen. Der kleine Mann, der ihn festgebunden hatte, löste seine Fessel. Colin rieb sich die wunden Handgelenke und folgte ihm aus der Hütte. Das Feuer war ausgebrannt und die Asche lag kalt in dem Steinkreis in der Mitte des Lagers. Der Kleine führte ihn in eine der Hütten. Die Fenster waren mit Brettern verschlagen und statt einer Tür hing lediglich ein Stofffetzen im Rahmen, der schon bessere Tage gesehen hatte. Sein Begleiter schob ihn in die Hütte, wo der Boss schon in einem alten, lädierten Lehnsessel auf ihn wartete. Colin stand in der Mitte des Raumes und sah sich um. Hier gab nur Bruchstücke die an frühere Zeiten erinnerten: Ein zerbrochener Krug neben einer kleinen Feuerstelle, ein ramponierter Tisch und ein paar alte Spitzhaken und Schaufeln, die bereits beim Anblick zu zerfallen schienen.
„Lass uns allein“ blaffte der Anführer seinen Schergen an und dieser trat aus der Hütte und warf Colin grinsend einen vielsagenden Blick zu. Der Boss erhob sich aus dem Sessel und ging langsam um den Gefangenen herum. „Weißt du wer ich bin, Kumpel?“ „N-n-nein“, gab Colin zurück. „Mein Name ist Clayton Kelly und die Jungs da draußen sind Ed Bird, Virgil Parks, Francis ‚Der Schlächter‘ Burch und ‚Little‘ Wyatt Moore. Mit Wyatt hast du ja schon Bekanntschaft gemacht.“ Scheisse, das ist Das Pack. Die Bande wird schon lange gesucht und ich habe sie gefunden. „Ich sehe, du kennst uns. Daher muss ich dir auch nicht erklären, dass wir hier in einer verzwickten Situation stecken. Eigentlich solltest du draußen in Wüste liegen, mit einem Loch im Kopf und den Geiern zum Mittagessen dienen. Also, erklär mir bitte, warum du jetzt genau hier stehst, Amigo.“
Colin blickte dem Hund in die kalten Augen und versuchte sich zu erinnern, was am Vortag passiert war. „Ich h-h-haben g-g-gefragt, ob ihr mmm-m-ich mitnehmt. Glaub ich.“ Clayton sah ihn an und lachte dreckig. „Da hast du Recht. Du hast einfach nur gesagt ‚Nehmt mich mit‘. Jeder andere hätte vermutlich gesagt ‚Bitte tötet mich nich‘ oder so ein‘ Scheiss. Ich meine, da stehst du kleiner Furz von einem Geschäftsmann mitten in der Wüste, drei Tote neben dir auf der Erde mit nem Revolver vor der Kauleiste und sagst ‚Nehmt mich mit‘. Glaub mir, ich war kurz davor dich abzuknalln‘, aber irgendwas an dir hat mich beindruckt und Scheisse, ich bin weiß Gott nicht leicht zu beeindrucken.“ Er spuckte auf den Boden aus. „Außerdem hast du den Safe geknackt als wenn es das einfachste der Welt wäre. Gar kein schlechtes Gewissen? Ich meine, der Typ, den er gehört hat, is‘ grade neben dir verreckt“. Diese Worte brachten Colin zum nachdenken. Er hatte tatsächlich auch jetzt noch kein schlechtes Gewissen. Er kannte den Mann nicht und mit dem Inhalt des Safes konnte er auch nichts mehr anfangen, jetzt wo er tot war. Da war wieder dieses Gefühl.
„Schätze nicht. Irgendetwas hat mich dazu gebracht, das zu tun, was ich getan habe. So ein Gefühl. Ich kann es nicht beschreiben, aber es fühlte sich nicht falsch an.“ Das Adrenalin pumpte wie wild durch seinen Körper und er fühlte sich gerade ganz weit weg. Der Hund fixierte ihn und blickte ihm tief in die Augen. „Du lügst nich‘ mal. Scheisse, was bist du für ein Typ. Knackst Tresore wie nix, hast die Eier mit vorgehaltener Waffe mir blöd zu kommen und überlebst dann auch noch? Irgendwas läuf‘ bei dir nich‘ richtig Muchacho. Aber was machen wir mit dir. Laufen lassen is‘ nich, das is‘ dir klar, denk ich. Aber ich hab irgendwie das blöde Gefühl, dass du das auch gar nich‘ willst.“ Diese Worte holten Colin wieder zurück aus seinem Traumzustand und er antwortete: „Nein. Will ich nicht“.
Noch 4 Minuten bis Mittag.
„Clayton Kelly – genannt ‚Der Hund‘ – wird nachweislich zur Last gelegt: Mord in 34 Fällen, Bankraub in 76 Fällen, Schmuggel, Betrug und Entführung. Im Namen des Gesetzes verurteile ich dich hier vor allen Zeugen zum Tode durch Hängen. Möge Gott deiner armen Seele gnädig sein.“ Der Sheriff trat an Clayton heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Fahr zur Hölle du dreckiger Hurensohn!“ Claytons Blick wandte sich zu ihm und sagte im Flüsterton: „Ich werde dort auf dich warten“ Dann lachte er so laut, dass einige Leute auf der Straße erschraken und Kinder anfingen zu weinen. Der Sheriff zog den Strick noch ein wenig enger und Clayton begann zu röcheln. Ein Mann war noch übrig.
Zwei Monate waren seit seinem ersten Treffen mit dem Pack vergangen und in der Zwischenzeit hatten sie eine Farm und zwei Postkutschen überfallen. In der Farm gab es nur wenig zu holen, aber es reichte aus, um die Vorräte im Lager wieder ein wenig aufzufüllen. In der ersten Kutsche fanden sie nur nutzlose Briefe, aber nichts von Wert. Bei der einen Kutsche hatten sie mehr Glück. Sie fanden einen kleinen Safe und eine kleine Geldkassette, derer sich Colin annahm. Nach zehn Minuten waren die beiden Schlösser geknackt und 132 Dollar und eine Hand voll Goldnuggets wechselten die Besitzer. Der Kutscher hatte versucht, die Räuber abzuwehren. Dummerweise hatte er aber kein Schießeisen einstecken und so kam es, dass Virgil und Francis ihn an beiden Armen festhielten und Colin die Fäuste sprechen lassen musste. „Los Junge, lass mal sehen, was du drauf hast! Diesmal halten wir ihn noch fest, beim nächsten Mal musste allein klarkommen“ Der Kutscher sah ihn verängstigt an und wimmerte „Bitte, bitte. Nicht…“ aber Colin ballte die Hand zur Faust, zog sie auf und schlug dem Kutscher ins Gesicht. Er hatte dem Kutscher die Nase gebrochen und Blut strömte über seinen Mund und den Bart. „War das alles? Der kann ja noch alleine stehen“ grunzte Ed hinter ihm „los nochmal!“ und Colin schlug erneut zu. Diesmal erwischte er den Kutscher so hart, dass er einen Zahn ausspuckte und losheulte. Wie in blinder Ektase schlug er wieder und wieder auf den Mann ein bis dieser bewusstlos in den Armen der beiden Pistoleros hing. Sie ließen ihn los und er fiel blutend zu Boden. Colin atmete schwer und sein Herz schlug wie verrückt. Nachdem sich sein Puls etwas beruhigte und er wieder klar denken konnte stammelte er: „Hab‘ ich ihn…?“ „Nein, ich glaub nich, aber der steht so schnell nich auf“ entgegnete Francis, der mit dem Fuß den Kutscher auf den Rücken drehte. Sein Gesicht war kaum mehr zu erkennen, so sehr hatte Colin ihm zugesetzt. Das Adrenalin wich langsam aus seinem Körper und er fühlte den Schmerz in seiner Hand. Seine Knöchel waren rot und blutig. „Na da will ich nich‘ dazwischenkommen“ meinte Ed und Colin meinte, er wäre ein wenig blass um die Nase. Der Hund stand an der Kutsche gelehnt, lächelte schief und nickte ihm zu.
Zurück im Lager verband er die Hand und legte sie in kaltes Wasser – welch eine Wohltat. „Saubere Arbeit, hätte nich gedacht, dass du so zuschlagen kannst. War vielleicht doch keine so blöde Idee, dich damals mit zu nehmen“ hörte er den Hund hinter sich murmeln. Er drehte sich eine Zigarette und stecke sie sich in den Mund „Seitdem brauchen wir wesentlich weniger Dynamit“ Beide lachten.
Noch 3 Minuten bis Mittag.
Das Seil lag schwer auf seinen Schultern und kratzte an seinem Nacken. „Colin O’Sullivan – Der Knacker – endlich hab‘ ich dich, du kleine Ratte.“ Der Sheriff trat vor ihn und sein schmaler Mund hatte sich zu einem breiten Grinsen gezogen. Selbstzufrieden blickte er ihn an und fuhr fort: „Ich kenne dich noch von früher. Dein Vater hat dich als kleiner Junge mal mit in die Stadt genommen um im Gefängnis die Schlösser zu erneuern. Hätte nicht gedacht, dass du hier mal mit ‘nem gottverdammten Strick um den Hals vor mir stehst. Wärst du mal lieber zuhause geblieben“ Colin sah ihn durchdringend an und antwortete: „Wir treffen alle unsere Entscheidungen“ „Deine waren nicht besonders klug, was?“ setzte der Sheriff entgegen. Er drehte sich um und verlas zum die dritte und letzte Anklageschrift, die genau so endete, wie die von Clayton und Ed. Danach schritt er vom Podest und die drei Männer standen in der heißen Mittagssonne über der Menschenschar und warteten.
Inzwischen hatte er sich schon an den Geruch gewöhnt. Körperhygiene ist nichts, was unter dem Pack hohe Priorität genoss. Dreck und Gestank waren Dinge, über die man hinwegsehen konnte, was aber nicht zu ignorieren war, waren die Zahnschmerzen. Er erinnerte sich noch lebhaft an den ersten Zahn, den er verlor. Nicht lange nach dem Postkutschenraub fing sein Backenzahn an zu schmerzen. Er fühlte das heiße Pochen Tag und Nacht und mit der Zeit wurde die Pein nicht mehr auszuhalten und es gab nur mehr eine letzte Möglichkeit: Das Ding musste raus. irgendwie. Also saß er im Lager auf einem Stuhl und Francis gab ihm eine Flasche Whiskey. Er leerte die halbe Flasche aus und stelle sie auf den Boden. Ed und Virgil hielten ihn an beiden Armen fest und Francis nahm die Zange und führte sie zu seinem geöffneten Mund. Als diese seinen faulen Zahn berührte, kam Panik in ihm hoch. Er versuchte sich loszureißen, doch die beiden hielten ihn daraufhin nur noch fester, so dass seine Arme taub wurden. „Beweg dich nicht, sonst dauerts noch länger, Verdammt“ und Francis packte den Zahn mit der Zange und zog daran. Colin schrie auf vor Schmerz und sein ganzer Körper schien zu explodieren. Übelkeit überkam ihn und er fühlte sich kurz vor der Ohnmacht. Dann gab es einen Ruck und der die Zange verließ seinen Mund. Er der Geschmack von Eisen und Fäulnis füllte seine Mund und er spuckte eine Menge Blut aus. Ed ließ ihn los und gab ihm die Flasche: „Trink aus, das machts erträglicher“
Sie legten sie ihn auf seine Pritsche und benommen vom Alkohol und der Anstrengung schlief er ein. Am nächsten Tag waren zwar die schlimmsten Schmerzen weg, aber die Erinnerung steckte ihm in Mark und Bein. „Der erste is‘ der schlimmste, danach gewöhnt man sich dran“ hörte er Virgil sagen. Im Laufe der Zeit sollte sich diese Prozedur noch einige Male wiederholen, richtig daran gewöhnen konnte er sich aber nie.
So vergingen die Monate und Jahre und das Leben zog dahin. Postkutschen ausrauben, Leute verprügeln und erschießen, vor dem Gesetz fliehen. Das war das Leben, das Colin sich ausgesucht hatte. War es das wert? fragte er sich immer wieder, doch er hatte keine Antwort darauf. Er dachte gelegentlich an seinen Vater und seine Mutter. Glaubten sie, er sei tot oder hatten sie die Steckbriefe inzwischen zu Gesicht bekommen: Colin O’Sullivan – Der Knacker. Gesucht wegen Mordes, Raub und Körperverletzung. Inzwischen war auch auf ihn ein stattliches Kopfgeld ausgesetzt. Er hatte durch sein Handwerk schon einige Leute ihren Besitz abgeknöpft. Das Pack war berüchtigt für ihre Raubzüge und bisher hatte es niemand geschafft, sie zu erwischen. Die Erinnerung an seine einstige Familie verblasste im Laufe der Jahre immer weiter und am Ende waren es nur noch Schemen in seinem Unterbewusstsein. Seine Familie war nun das Pack und zwar so lange bis jeder einzelne von ihnen in einem namenlosen Grab irgendwo ihre letzte Ruhe finden und der Teufel sie zu sich holen würde.
Noch 2 Minuten bis Mittag.
Ed hatte aufgehört zu beten und stand mit leeren Augen, den Blick gesenkt, neben ihm. Er zitterte am ganzen Körper und der beißende Geruch von Pisse und Scheisse drang Colin in die Nase. Die Hitze macht das nicht viel erträglicher dachte er bei sich und sah sich um. Die Sonne blendete ihn und viel konnte er nicht sehen. Er fühlte nur die Blicke die auf im ruhten. Alle warteten darauf, dass das Wort gesprochen wurde und sie am Galgen baumelten.
„Aufwachen, ihr faulen Ärsche! Hoch mit euch, heute is es endlich soweit!“ schrie Clayton durch das Lager und die Männer krochen gähnend und langsam aus ihren Schlafplätzen. Heute war kein Tag wie jeder andere. Seit Wochen schon hatten sie keinen gewöhnlichen Feldzug mehr gestartet um sich zu bereichern. Nein, sie bereiteten das größte Ding aller Zeiten vor. Ein Postkutschentrail aus Kalifornien kam am heutigen Tag durch ihr Gebiet. Eine Kolonne von acht Wagen, dick beladen mit Reichtümern aus dem Westen. Sie hatten einen grandiosen Plan ausgearbeitet um den Zug zu überfallen. Sie würden in einer kleinen Schlucht angreifen, die nicht breit genug war, dass mehr wie zwei Wagen nebeneinander herfahren konnten. Sie würden sich in zwei Gruppen aufteilen: eine am Anfang und eine etwa eine halbe Meile weiter im Canyon. Sobald der Trail die Enge passiert hatte, würde Clayton, Ed und Virgil von vorne her angreifen und Wyatt, Francis und Colin würden sie dann von hinten einkesseln. Sie wussten, dass diese Kolonnen bewacht sein würden, aber durch die Enge des Canyons und den Angriff von hinten und hatten Sie einen Vorteil und konnten die Bewacher als erstes ausschalten.
Sie hatten das Manöver immer wieder über Wochen hinweg geübt und waren sicher, dass diese Taktik aufgehen würde. „Haltet euch immer an den Plan. Erst die Bewacher ausschalten und dann die restlichen Leute zusammentreiben. Anschließend werden wir sie ausnehmen wie die Weihnachtsgänse. Packt eure Waffen und die Munition ein und dann auf die Pferde!“ der Hund war tollwütig und lechzte nach Blut und Gold. Colin und die anderen packten Ihre Revolver ein und stiegen auf die Pferde. Es war ein Ritt von etwa zwei Stunden bis zum Canyon und je eher sie da waren, desto besser.
Im Canyon trennte sich das Pack auf und Colin, Wyatt und Francis versteckten sich am Eingang des Canyons. Lange Zeit passierte nichts und so kauten sie auf ein paar Streifen Trockenfleisch herum und rauchten Zigaretten. Keiner der Männer sagte auch nur ein Wort, alle waren konzentriert und warteten darauf, dass die Vorstellung beginnen würde. Colin prüfte immer wieder seinen Revolver, ob alle Kammern mit Kugeln versehen waren. Auch beim achten Mal waren alle Kugeln noch drin. Als er aus der Schlucht hinaussah, hatte sich der Himmel verändert. Der Horizon war nun nicht mehr klar sichtbar, sondern Staub wirbelte durch die Luft. „Sie kommen.“ sagte er zu den anderen und sie begaben sich in Position. Angespannt verharrten sie bis die ersten beiden Wagen an Ihnen vorbeifuhren. Dann die nächsten zwei und noch einmal zwei Paar, wie es Clay gesagt hatte. Es vergingen noch ein paar Augenblicke dann begann es. Sie hörten die Schüsse hallend aus dem Canyon und setzten zum Spurt an. Sie erreichten die Wagen und konnten mehrere Männer wild durcheinanderschreien hören. Doch irgendetwas stimmte hier nicht. Colin kam etwas komisch an der ganzen Sache vor und dann wurde es ihm klar: es waren keine Leute zu sehen, abgesehen von den Kutschern die auf den Pritschen kauerten. Hatte Clay nicht gesagt, dass auch ein paar Passagiere hätten in den Wagen sitzen müssen? Verdammte Scheisse „Das ist ein Hinterhalt!“ brüllte Colin die anderen beiden an und er versuchte in Richtung des Canyons zu laufen um Schutz hinter den Steinen zu suchen. Francis hatte das genau so erkannt und nahm die Beine in die Hand. Die Abdeckungen der Wagen wurden hochgerissen und Männer mit Pistolen kamen zum Vorschein und begannen zu schießen. Wyatt hatte es zu spät bemerkt und in dem Moment, wo er weglaufen wollte traf ihn eine Kugel in den Hinterkopf und er sackte zu Boden. Colin und Francis feuerten hinter den Steinen, wo sie Schutz gefunden hatten, ohne zu zielen in Richtung der Wagen. Ob sie jemanden erwischten, konnte er nicht sagen und er wagte es nicht, hinter dem Stein hervorzublicken. „Gib mir Deckung, ich lauf weiter vor!“ rief ihm Francis entgegen, doch Colins Revolver war leergeschossen und er musste nachladen. „Scheisse, nein, bleib hier, ich muss laden“ rief noch, doch Francis war bereits losgelaufen mitten in einen Kugelhagel. Er wurde regelrecht von Schüssen durchsiebt und ging zuckend zu Boden. Verdammte Scheisse, hier kommt keiner mehr raus dachte Colin und lud seinen Revolver nach und feuerte direkt los. In der Ferne hörte er die Schüsse der anderen, die sich scheinbar ebenfalls ein Feuergefecht an der Spitze des Zugs lieferten. Der Revolver klickte und er musste wieder nachladen. Als er die Trommel öffnete, sah er vor sich einen Schatten und ein Ast knackte hinter ihm. Er drehte sich um und etwas Schweres traf seinen Kopf. Bewusstlos ging er zu Boden und lag blutend im Sand.
Als er wieder zu sich kam, saß er auf einem der Wagen und die Schlucht war am Horizont nur mehr als leichte Erhöhung zu erkennen. Sein Kopf dröhnte und er fühlte getrocknetes Blut in den Haaren. Die Hände und Füße waren gefesselt und ihm gegenüber saßen Clay und Ed. Ed blutete aus dem Bein und Clay hatte einen weiteren Zahn eingebüßt. Er sah Colin an und murmelte „Das war so nich‘ geplant.“ und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Colin wusste, dass dies nun ihre letzte gemeinsame Reise war.
Noch eine Minute bis Mittag.
Wieder fuhr ein leichter Wind durch die Hauptstraße und der Schweiß auf seiner Haut kühlte sein Gesicht. Nur noch wenige Augenblicke bis sich die Falltür unter ihm öffnete und er am Strick hängen würde. Vielleicht hatte er Glück und sein Genick brach gleich, wenn nicht, würde er einen erbitterten Todeskampf führen bis er nun noch da hing und im Wind baumelte. Jetzt kann mich nur noch ein Wunder retten dachte er bei sich. An Wunder hatte er aber noch nie geglaubt daher machte er sich auch keine großen Hoffnungen. Es waren seine Entscheidungen, die ihn hier an diesen Ort gebracht hatten und die Konsequenzen hatte er alleine zu tragen. Er blickte noch einmal zu Ed und dann zu Clay. Ihre Blicke trafen sich und Clay fragte ihn leise: „Na Kleiner, bereust du es?“ Colin drehte den Kopf nach vorne und atmete tief an. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lachen „Nein“ Die Falltür unter seinen Füßen öffnete sich und er fiel.