Der Sommer ist endlich da. Die schönsten drei Wochen des ganzen Jahres haben endlich begonnen und bringen allerlei Annehmlichkeiten mit sich: Mücken, zu warme Schlafzimmer und adipöse Bierwampenträger in Tanktops und Adiletten (nebst weißen Tennissocken bis kurz unter den Gürtel gezogen). Doch nichts macht den Sommer so komplett wie am Samstag Morgen vom lieblichen Gebrüll diverser Gartengeräte sanft aus dem Schlaf zu geschleudert zu werden.
Es ist 06:55 Uhr im Geräteschuppen von Robert im kleinen Vorstadtgarten der Neubausiedlung. Friedlich schläft sein Ford Raptor in der Einfahrt, ebenso wie ich im weichen Federbett. Es ist ein schöner Morgen, die Sonne scheint, keine Wolke am Himmel, es hat angenehme 17 Grad. Robert prüft noch einmal die Zündkerzen und das Mähwerk seines kleinen grünen Schatzes. 150cm³ Hubraum, 2,3 kW Leistung, genug um knapp 1800m² Rasen auf Vordermann zu bringen.
Um 06:59 wird der Oberkörper noch einmal gedehnt – Man(n) will sich ja beim Starten nicht verletzen – und der Blick wandert auf die Uhr. Die Augen zusammengekniffen, die Miene ernst. Noch zehn Sekunden. Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins…
07:00 Uhr und jetzt passiert alles in Zeitlupe: Die rechte Hand am Seilzugstarter, die linke am Bedienhebel. Ein fester Ruck, ein unterdrücktes Grunzen. Das Seil und der Körper bilden eine Einheit und beide tänzeln mit einer Eleganz gen Himmel, wie man sie aus dem Ballett kennt, den Henkel fest mit der Faust umschlungen. Der Mäher startet auf Anhieb, erst ein leichtes Knattern, dann jagt das Benzin durch den Motor und erweckt die Bestie.
Zeitgleich im Schlafzimmer nebenan.
Ich befinde mich am Strand und blicke auf das Meer, die Sonne geht gerade unter und es herrscht absolute Stille bis auf das Rauschen der Wellen. Welch Eintracht von Körper und Geist, ich genieße die letzten Strahlen unseres wärmenden Sterns und just in dem Moment, in dem ich vollkommenen Frieden fühle überfährt mich ein Güterzug. Wo kam der jetzt her? Ich fahre aus dem Bett hoch wie Dracula aus seinem Sarg, nur nicht so galant. Mein Herz rast, ich bin benommen, schlage um mich, um Godzilla aus meinem Bett zu verjagen. Nachdem ich die beiden gerade erlittenen Herzinfarkte beiseitegeschoben habe, kommt mir die Erleuchtung: Es ist Sommer.
Ich wanke schlaftrunken ins Badezimmer und beginne meine Morgenroutine. Das stete NÖÖÖÖÖÖÖÖÖN aus Nachbars Garten verfolgt mich dabei wie ein unsichtbarer Schatten. Auf dem Weg in die Küche, um mir die ersten beiden Liter Kaffee des Tages einzuflößen, habe ich das Gefühl, dass Robert meinen Hausflur mäht.
Ein startender Düsenjet in 100 Metern Entfernung hat eine Lautstärke von 125 Dezibel. Der Rasenmäher hat definitiv mehr und verstößt, in meine Augen, gegen die Genfer Konvention was Foltermethoden angeht. Nachbar Robert schiebt seinen Gartendämon in aller Seelenruhe vor sich her als würde er Vivaldis Frühling spielen. Wie glücklich er aussieht.
Das ganze Spektakel dauert in etwa 45 Minuten und nachdem ich die (erste) Kaffeekanne geleert habe, verklingt auch die vierrädrige Tollwut nebenan mit einem sanften Gluckern.
Stille.
Ich schnipse mit den Fingern, um mich zu vergewissern, ob ich endgültig taub bin, aber der Systemcheck ist in Ordnung. Ich höre den Streitwagen zurück in den Schuppen rollen und freue mich jetzt auf einen ruhigen Vormittag.
Immer noch Stille.
Auf dem Balkon richte ich mein Frühstück her, um es in der kühlen Morgenluft zu genießen. Semmeln, Marmelade, Butter, ein gekochtes Ei. Was will der Mensch mehr? Doch was entdecken meine noch immer etwas schläfrigen Augen? Rasenmäher-Robert kommt aus dem Geräteschuppen – aber nicht allein.
Vor seinem von Bier und Steaks gestählten Körper hängt der Rasenkanten schlimmster Alptraum: Der Rasentrimmer. Man könnte meinen, für einen kleinen Vorgarten würde ein kleines Modell mit Elektroantrieb genügen. Das leise Surren des Antriebs wäre im Vergleich zum Mäher ein Furz im Wind. Aber Robert wäre nicht Robert, wenn er nicht auch hier ins Premiumsegment gegriffen hätte: 2-Takt Motor mit Digitalzündung und stabilem Motorlauf. 52m³ Hubraum mit zwei PS und gebogener Antriebswelle, sozusagen der Rolls-Royce unter den Motorsensen. Gevatter Tod hätte damit bestimmt seine wahre Freude!
Stilecht in Engelbert Strauß Schnittschutzhose stapft Robert durch das frisch gemähte Gras in Richtung Rasenkante. Er lässt die Hand noch einmal über die Maschine streichen als wollte der sagen: „Du. Nur du“
Dann drückt er den Startknopf und der Trimmer kommt in Fahrt. Mit tödlicher Präzision macht er den Grashalmen den Gar aus. Das Grün fliegt durch die Luft und ich fühle mich ein wenig an die Landungsszene in der Normandie aus „Der Soldat James Ryan“ erinnert. Robert und seine Mätresse vollführen den Tango de la Muerte entlang der Maginot-Rasenlinie. Sinusartig ertönt das Salvenfeuer des Todesstabes und beschert mir weitere 30 Minuten des Unfriedens. Mein Frühstück ist in jedem Fall im Eimer.
Ich drücke mir unzufrieden den letzten Rest meiner Marmeladensemmel in den Schlund und spüle mit ordentlich Kaffee nach. Ich räume alles in die Küche und verspüre ein leichtes Pochen im Hinterkopf. Da der werte Herr Nachbar jetzt auch fertig ist, könnte ich ja in den Garten gehen und selbst ein bisschen was machen. Von Hand versteht sich, man will ja seine Ruhe.
Ich betrete also mein kleines Beet hinterm Haus um die Pflanzen zu gießen und ein bisschen zurückzuschneiden. Die Tomaten wachsen prächtig! Es ist noch immer ruhig – zu ruhig. Ich traue dem ganzen Frieden nicht.
Und ich sollte Recht behalten!
Runde drei wird gerade eingeläutet. Ohne Vorwarnung dröhnt mir ein stetiges VROOOOOOOM entgegen. Rambo-Robert hat die Reserve in Form des sagenumwobenen Laubbläsers mobilisiert und bläst damit das zuvor in mühevoller Arbeit zerschredderte Gras von der Rasenkante zum Komposthaufen zu befördern.
Jetzt könnte man meinen, dass das einfach liegen bleiben könnte, als idealer Dünger oder weil es am Ende vollkommen egal ist, ob es rumliegt, aber nicht in Almans Paradies. Sauber und ordentlich muss es sein, man will sich ja nichts nachsagen lassen. Somit vergehen weitere 25 Minuten und eine einsame Träne läuft mir über das Gesicht.
Nachdem das Duo Infernale ihr Werk beendet haben, höre ich meinen Peiniger noch über den Zaun rufen: „Guten Morgen, Nachbar! Wunderbares Wetter heute, was? Ideal für die Gartenarbeit, ich sehe, Sie sind auch fleißig? Ich sag‘s Ihnen, das beruhigt mich ungemein, wenn ich einfach im Garten was machen kann.“ Ich drehe mich um und nicke ihm nur zu und werfe ihm ein hasserfülltes „Mhhmm“ hin. Er hebt noch die Hand zur Verabschiedung und wünscht mir einen schönen Tag. Wie soll man da auf Bewährung rauskommen, wenn man angemessen reagieren würde?
Hass.
Eine Zeit lang tut sich nichts, dann höre ich wie der Raptor in der Einfahrt losgurgelt. Ist es wahr? Macht er sich aus dem Staub? Ich habe Ruhe? Mein Herz macht vor Freude einen Salto rückwärts und ich freue mich auf ein eine Session auf der Gartenliege mit einem Buch und einem Glas…
Along came Heidrun.
Heidrun – Roberts Frau und des Trimmers Nebenbuhlerin tritt zu Tage. Auch von ihr die gleiche Ansprache mit Wetter, Garten, Ruhe, bla, bla, bla. Ich setze mein Grinsen auf und rücke die Liege in Position. Fast wäre es mir nicht aufgefallen, aber Gisela hat sich ebenfalls bewaffnet. Scheinbar muss die Hecke geschnitten werden – mit Unterstützung der Heckenschere. Dass diese ebenfalls elektrifiziert ist, muss nicht extra erwähnt werden, ich tu es trotzdem, der Vollständigkeit halber. Und los geht die wilde Fahrt! Hoch, runter, links und rechts. Das malträtierte Astwerk landet geräuschlos auf dem Boden. Akribisch genau wird ein 90-Grad Winkel in die Hecke eingearbeitet, ich bin erstaunt, wie sie das ohne Winkelmaß hinbekommt.
Das CHRCHRCHRCHR des Heckenschnittes begleitet mich die nächsten 60 Minuten.
Zwischenzeitlich habe ich mir Oropax aus dem Bad geholt und liege nun auf meiner Liege und lese in meinem Buch. So wirklich konzentrieren kann ich mich trotzdem nicht, statt des CHRCHRCHRCHR kommt in meinen Gehörgängen ein gedämpftes BWWWWBWWWWBWWWW an, was ebenfalls nicht sonderlich konzentrationsfördernd ist.
Jetzt ist es fast Mittag und ich bekomme Hunger, also ab in die Küche. Meine Stimmung und meien Motivation ist inzwischen so im Keller, dass ich Nudeln koche und eine ungesunde Menge Pesto darin verteile. Nach dem Essen bemerke ich, dass es seit Heidruns Heckenmassaker keine erneute Eskalation im Krisengebiet nebenan gab. Ich warte noch einmal zehn Minuten und nachdem sich auch jetzt nichts mehr tut, glaube ich, es ist überstanden. Gut, der ganze Vormittag war für die Katz, aber mir bleibt ja noch der Nachmittag. Vielleicht habe ich jetzt ein bisschen Frieden in meinem Idyll.
Ich öffne vorsichtig die Tür zum Garten und kundschafte die Umgebung aus. Der Raptor ist immer noch nicht zurückgekehrt und auch Heidrun ist weit und breit nicht zu sehen. Ich wage mich einen Schritt zur Tür hinaus. Nichts passiert. Ich lege mich auf die Liege und greife mir mein Buch. Immer wieder blicke ich ängstlich über den Buchrand, um mich zu versichern, dass alles in Ordnung ist. Schon 20 Minuten ohne Störung vergangen. Ich entspanne mich langsam und merke, wie der Stress stetig von mir abfällt. Vögel zwitschern, in der Ferne höre ich ab und an ein Auto fahren, der Wind raschelt leise durch die Blätter und ich döse ein.
Ich befinde mich wieder am Strand und blicke auf das Meer, die Sonne geht gerade unter und es herrscht absolute Stille bis auf das Rauschen der Wellen. Welch Eintracht von Körper und Geist, ich genieße die letzten Strahlen unseres wärmenden Sterns und
NÖÖÖÖÖÖÖÖÖN
mich haut’s von der Liege.
Nachbar Willy steht im Garten auf der anderen Seite winkt mir zu und schiebt seinen Rasenmäher vor sich her.
Mir reichts, ich gehe jetzt ins Freibad.